Montag, 14. März 2022

Weichzeichner wurde im 19. Jahrhundert erfunden

Modelporträt
Weichzeichner und Hautglättungsfilter kamen hier zum Einsatz. Früher war alles anders.
 

Fotograf David Hamilton war nicht

der erste "Weichzeichner"

Mit Gazetuch oder Gardine über dem Objektiv hatte David Hamilton gegen Ende der 60er Jahre seinen unverwechselbaren Weichzeichner-Stil entwickelt. Wikipedia schreibt dazu, dass viele Kritiker diesen Stil "als kitschig, pornografisch oder latent pädophil" bezeichneten.

Gemalte Fotografie

Hamilton bezeichnete seine Art des Fotografierens als „gemalte Fotografie“. Neben Landschaften, Stillleben und Blumen zählten in der Hauptsache Bilder von jungen, pubertierenden Mädchen zu seinen Motiven. Von diesen fertigte er Aktfotos - Mädchen in leichter Bekleidung müssen ihm wohl auch gefallen haben.

Lange Beine und weiter Mund

"Hamilton hat selbst mehrfach dargelegt, welche Mädchen er am liebsten fotografierte und welche Merkmale seine Modelle aufweisen sollten. Sie sollten groß und schlank sein, eine ebenmäßige Gesichtsform besitzen, hohe Wangenknochen, hohe Augenbrauen und möglichst eine Stupsnase haben. Außerdem sollten sie einen langen Hals, einen weiten Mund, eine hohe Stirn, weite, möglichst blaue Augen und lange Beine haben. Er bevorzugte blonde und rothaarige Mädchen, da diese seiner Meinung nach einen besonders zarten Hauttyp haben und ihre Haut und Augen durchscheinend seien", klärt
Wikipedia auf.

Skandalträchtige Motive

Hamilton setzte seine Methode auch bei Kinofilmen ein. "Bilitis" war recht bekannt und wer den
Filmtitel "Zärtliche Cousinen" liest, der weiß spätestens jetzt wie die Fotos ausgesehen haben. Auf
jeden Fall war dieser Fotograf in den 70er Jahren für einige Skandale gut. Skandalträchtig war
auch der allererste Einsatz von Weichzeichner in der Fotografiegeschichte. Selbstverständlich
wurde damals nicht der gleichnamige Photoshopfilter eingesetzt. Mitte des 19 Jahrhunderts tobte
eine Realismusdebatte zwischen Malerei und Fotografie.

Erster "Weichzeichner" war eine Frau

Von der Fotografie wurde eine detaillierte Darstellung verlangt. Die Fotografin Julia Margaret
Cameron arbeitet völlig anders. Sie verfügte nur über meist mangelhafte Technik, die unscharfe Fotos ergab. Sie machte aus der Not eine Tugend und erklärte dies als gewollt: „Was bedeutet Schärfe – und wer hat das Recht zu sagen, welche Schärfe die richtige ist?“, meinte sie.

Unscharfe Flecken produzieren

Ein Kritiker hielt ihr entgegen: "Es ist nicht die Aufgabe des Fotografen, unscharfe Flecken zu produzieren. (...) Wenn man nur Helldunkelstudien wünscht, dann möge man sie mit Farbe oder Kohle und mit einem Scheuerlappen - wenn nötig - ausführen, aber die Fotografie ist vor allem die Kunst der Scharfzeichnung, und wenn eine Kunst von ihrer Funktion abweicht, dann ist sie verloren." (zit. nach Wolfgang Kremp, Theorie der Fotografie).

Objektiv leicht unscharf einstellen

1853 hielt der Maler und Fotograf William John Newton vor der Photographic Society of London
einen Vortrag über fotoästhetische Fragen. Er empfahl seinen Berufskollegen eine leicht unscharfe Einstellung des Objektivs. "Dabei halte ich es nicht für notwendig oder wünschenswert, dass der Künstler die Wiedergabe winzigster Details anstrebt: vielmehr soll er es auf eine breite und generelle Wirkung anlegen." Dazu brauche der Gegenstand nicht scharf zu erscheinen. Auf diese Art käme man dem Suggestiven der Naturdinge näher.

Wissenschaft als Legitimationsbasis

Peter Henry Emerson brachte sich 1886 in die Diskussion ein. Seine Argumente pro Unschärfe waren nicht neu, aber sie "wurden von einem neuen Fundament getragen. Wenn er wie Newton oder Claudet eine leicht unscharfe Einstellung empfahl, dann argumentierte er nicht im Hinblick auf die Kunst, sondern auf die Wissenschaft als Legitimationsbasis. Er berief sich auf die neuen Erkenntnisse der Physiologie, vor allem der Wahrnehmungsphysiologie des deutschen Naturforschers von Helmholtz, die besagten, daß das menschliche Auge ein Bild liefert, das nur an einer Stelle scharf und an allen anderen abgestuft unscharf bis verschwommen ausfällt", schreibt Wolfgang Kemp in seinem Aufsatz "Fotografie als Kunst".

Sprungbrett der Fantasie

Der englische Kunstfotograf Horsley Hinton vertrat 1904 die Position, dass der ideale Betrachter sehe in einer Naturszenerie mehr und andere Dinge als die Natur sie böte. Sie sei ein Sprungbrett der Fantasie. Ein Abbild/Foto habe seinen Wert nicht mehr "in der Treue, mit der es reproduziert, was das Auge sah, sondern in der Lebendigkeit, mit der es jenen geistigen Eindruck wieder erstehen lässt, den Natur und Phantasie auslösen. Nur zu diesem Zweck ist das Bild ein Mittel. Es ist nur ein Vorwand,  eine willkürliche Darstellung" (zit. nach Wolfgang Kemp, Fotografie als Kunst).

Ohne Kunstlicht und Filter

Das muss wohl Hamilton genauso gesehen haben. Er weigerte sich sogar seine Modelle ohne
Weichzeichnerzubehör zu fotografieren. Kunstlicht, Filter und Reflektoren lehnte er ebenso ab.
Schönheit werde nicht anhand von Charakter oder Schminke bestimmt, sondern einzig durch das
natürliche Aussehen, so Hamilton.

 

(Zitate und Text beziehen sich auf das Buch Wolfgang Kemp/Hubertus v. Amelunxen, Theorie der Fotografie I-IV 1839-1995, Verlag Schirmer/Mosel, München 2006)

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